Domeniggweg III-

Gernot kommt aus Wien und ich aus Graz. Fast auf die Minute genau treffen wir uns am Parkplatz des Gasthofs Bodenbauer. Für diesen prächtigen Herbsttag haben wir uns den Domeniggweg durch die Südwand des Hochschwabs vorgenommen. Wir packen jede Menge Kletterutensilien in die Rucksäcke und brechen kurz nach acht Uhr auf.

Gernot ist beim Vogauerkreuz nach über zwei Stunden schon schlapp. Beide suchen wir die Südwand ab, erkennen zwei Optionen und fragen uns jeweils für uns, wie wir da raufkommen sollen. Schauen ma a mal. Wir wandern weiter Richtung Trawiessattel. Das Pflichthoppala folgt. Ich schaue auf die schräge, nasse Felsplatte und erkenne, dass meine Schuhe nicht halten werden. Ausprobiert, ausgerutscht, aufgeschürft. Wie deppert kann man sein!

Egal, weiter geht’s. Jetzt spiegelt ein Schild in der Südwand aus weiter Ferne. Das wird der Einstieg sein. Der Domeniggweg von rechts unten nach links oben sieht spektakulär, aber doch auch ein bisserl machbar aus. Gernot schleppt sich dahin. Was ist denn mit ihm los? Knapp bevor der Weg vom Trawiessattel in die Obere Dullwitz abfällt, zweigen wir nach links bei einigen Steinmännchen in Richtung Südwand ab. Noch immer ist die Südwand ein Gegenanstieg und sieht damit fast senkrecht aus. Das wird besser werden, sagt die Erfahrung.

Sechs Gämsen haben es sich bei den Schildern des Einstiegs bequem gemacht. Gelegentlich lassen sie Steine auf uns, die sich die steilen Schrofen bzw. das Geröll hinaufquälen, ab mit den Worten: „Nehmt das!“. Aber wir sind nicht zu stoppen. Unterhalb der glitzernden Tafeln müssen wir links in den Steig abgebogen sein – vielleicht aus Angst vor den souveränen Gämsen. Vielleicht auch ganz richtig.

So stehen wir plötzlich in der Wand. Laut Topo werden wir von der ausgesetzten IIer-Stelle begrüßt. Ja, das sieht nicht schwer aus, aber es geht halt ziemlich runter. Wir seilen uns an – mitten im Steig. Das geht erstaunlich gut und trotzdem machen wir es nächstes Mal früher.

Ich steige los und setze zu meiner Beruhigung einen Friend. So ein Friend ist fein, wenn man wenig gewöhnt ist. Ab jetzt sind da alle paar Meter Haken. Da hätte ich leicht sechs oder gar sieben Exen verbraucht. So baumelt das Seil in der Sonne, auch schön. Vor der Schlüsselstelle warte ich auf Gernot. Der ist wieder zurück im Leben und meistert das alles locker. Die Schlüsselstelle ist mit III- bewertet. Ein senkrechtes Wandl mit kleinen Griffen soll auf uns warten. Aber wie sooft ist hier nichts senkrecht. Das ist objektiv feststellbar. Kleine Griffe sind subjektiv. Wie auch immer, wir empfinden die Schlüsselstelle als nicht so schwer. II+ hätte auch gereicht.

Nach der Schlüsselstelle steigt Gernot vor. Es geht fein dahin. Nach einem kurzen Abstieg stehe ich in einem Kessel bzw. am Beginn einer steil aufwärts gerichteten Rinne. Von Firn ist in der Beschreibung die Rede oder einer Variante in weitem Bogen. Beides finde ich nicht. Ich bin wieder vorne und suche nach Haken zur Orientierung, aber da ist nichts. Das Gelände ist nicht schwer, aber ein bisserl unheimlich ist es schon in der Wand. Was, wenn es da oben für uns nicht weitergeht?

Mangels Alternativen steige ich weiter, Gernot folgt nach. Und plötzlich sieht es auch so aus, als würde es unangenehm. Wir staunen, das sollen bestenfalls IIer-Stellen sein, also etwas, wofür wir kein Seil mitnehmen würden. Schauen wir einmal. Ich steige los und nach ein paar Metern tut sich rechts ein Felsenfenster auf, das man von unserem Stand aus nicht sehen konnte. Das sieht ein bisserl feucht, aber technisch nicht schwer aus. Aber warum fehlt in der Beschreibung das Felsenfenster? Das ist so etwas von markant. Die Beschreibung sagt, dass man sich in aufsteigenden Rinnen schwerlich versteigen kann, weil es stets rasch technisch schwer wird. Das beruhigt. Aber was, wenn der Autor nicht alle Rinnen ausprobiert hat? Das Gelände ist so, dass ich leicht aufsteigen kann, aber runter muss ich auch nicht unbedingt.

Also, durchs Fenster. Für Gernot verschwinde ich damit aus dem Blickfeld. Es wird schon weiter gehen da oben. Siehe da, in der Höhle des Felsenfensters ist ein Steigbuch. Soll ich nachschauen, auf welchem Steig ich bin? Quatsch, der Domeniggweg ist die Anfängervariante durch die Wand. Jede andere Option würde ich nicht packen. Das Felsenfenster war leicht und ich steige kühn zurück in die Sonne. Gernot freut sich sichtlich, als er mich über der Felsstufe sieht. Wahrscheinlich fragt er sich, wie ich da hinaufgekommen bin.

Beim nächsten Stand übernimmt wieder Gernot. Wie beschrieben wird es leichter. Einmal höre ich Rufe. Ich denke, es ist Gernot, aber was will er? „Alles gut“ höre ich irgendwann. Heute sind einige Seilschaften in der Wand. Das ist recht ungewöhnlich. Die gehen allesamt schwierigere Routen ab dem fünften Schwierigkeitsgrad. Wir schießen einmal sogar Fotos. Wild sieht das aus. Für uns geht es weiter. Nebel zieht auf, aber da droht nichts mehr. Haken, eher Rostgurken, tauchen auch wieder auf. Alles gut, weit kann es nicht mehr sein. Wir packen das Seil ein und stehen bald am Kleinen Schwaben. Ein paar weitere Minuten und wir sind am Schiestlhaus.

Hier treffen wir die Klettergruppen. Sie sind allesamt Alpinpolizisten. Fit sind sie und gut vorbereitet für den Einsatz. Verbrecher werden sie da selten fangen. Einzige Erklärung wird wohl die Aufklärung von Kletterunfällen sein. Da seilt man sich aber auch eher von oben ab. Egal, Arbeit darf ja auch mal Spaß machen.

Wir erwarten uns eine schnelle Erholung bei der späten Mittagspause. Diese will sich aber bei Gernot gar nicht einstellen. Die Freude, die bei der Kletterei als verdrängt hat, ist weg. Dafür ist der lange Abstieg da. Wir identifizieren das G’hackte als kürzeste Option. Beim Abstieg wird Gernot immer langsamer, beim G’hacktbründl ist ihm gar kalt. Die restlichen Kilometer sind am Hochschwab meist zäh, aber Gernot schaut mir heute gar nicht gut her. Wir rasten ungewöhnlich oft. Renate liegt mit einer Darmgrippe daheim. Vielleicht hat er sich angesteckt. Hat er! Aber das ist ihm erst in der Nacht bewusst, denn das Fieber und der miese Allgemeinzustand lassen sich nicht auf unsere Tour zurückführen.

Schade, denn es war wieder eine wirklich edle Tour. Wer einen IIIer schafft, braucht keine Sorge zu haben. Bei Nässe oder Schnee sieht das natürlich anders aus. Aber an so einem sonnigen Spätsommertag wie diesen Montag ist die Tour echter Genuss. Der Zustieg und der Rückweg sind lange. Das ist zu berücksichtigen. Wir waren neuneinhalb Stunden unterwegs, was fast eine kleine Ewigkeit ist. Ohne Virus würden wir aber auch wir weniger Zeit benötigen.

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