Hochtour: Kals – Kendlspitze (3.085m)

Kals am Großglockner bei Schönwetter ohne Dreitausender – das wäre hart für mich! Sabine hat Verständnis, und so suche ich einen nahen Dreitausender. Die Tour soll von der Haustür über die Vordere Kendlspitze zum Kalser Tauernhaus führen, wo ich Sabine zu Mittag treffen will. Das ist doch mal ein Plan!

Um 5 Uhr läutet der Wecker. Das Gradonna hält ein Bergsteigerfrühstück parat. Ich starte in T-Shirt und kurzen Hosen. Super Plan, aber nur bis zum ersten Kontakt mit der Morgenluft. Hui, da ist es kalt. Vor drei Jahren bin ich auch um diese Zeit zum Muntanitz aufgebrochen, aber da war es der heißeste Tag des Jahres. Davon bin ich weit entfernt. In der Nacht gab es Niederschlag. Nicht so reichlich wie angekündigt, aber doch. Die Kellnerin auf der Lucknerhütte war sicher, dass es nicht schneien würde. Und wenn, dann erst weit oben. Na schauen wir einmal.

Die Rezeptionistin hat sich netterweise am Vormittag zu den Bedingungen für mich erkundigt. Ja, die Kendlspitze ist gut zu besteigen, mit Altschnee ist reichlich zu rechnen, die Brücken im Abstieg vom Gradötzsattel liegen bereits. Alles klar.

Der Aufstieg über Kranzwand und Kereralm zum Hohen Tor ist nun, drei Jahre älter aber auch viel fitter, gar kein Problem. Windbruch im unteren Bereich und die Kälte sind aber erwähnenswert. Ab dem Hohen Tor gehe ich gar in voller Goretex-Montur. Selbst die Handschuhe habe ich an!

Im Dürrenfeld habe ich dann den ersten Schneekontakt und der ist hart. Drauf liegt ein bisserl Neuschnee. Zum Glück gab es in der Nacht weit weniger Niederschlag als vorhergesagt! Das zu querende Schneefeld ist kein bisschen steil, aber knüppelhart. Nein, da gehe ich so nicht drüber. Also, Steigeisen kommen dran. Die sind ganz neu und entsprechend schnell angelegt.

Auch die Höhe spüre ich diesmal kein bisserl. Weiter zur Kendlspitze. Es kommen weitere und immer steilere Schneefelder, die es zu queren gilt. Der Weg zur Kendlspitze verdient die Bezeichnung „Klettersteig“ meines Erachtens nicht. Erst die letzten Höhenmeter sind ein bisserl eine versicherte Gratkletterei. Darunter ist es ein Aufstieg im Geröll. Dieses ist heute fest gefroren und teils mit Eis überzogen. Im Abstieg werde ich sogar auf dieser Glasur die Steigeisen anlegen.

Der Gipfel ist mit seinem eigenartigen Gipfelkreuz dann schon besonders. Es bietet sich ein grandioser Rundblick. Unten sehe ich aufs Gradonna, wo ich Sabine auf der Frühstücksterrasse sehen könnte, wenn ich 30 Jahre jünger wäre und ein Fernglas dabei hätte. Der Großglockner schaut auch rüber. Hier gäbe es sicherlich auch eine bunte, stauende Menschenkette zu sehen. Aber ich bin hier auf der Vorderen Kendlspitze alleine, ganz alleine. Den ganzen Tag werde ich nur eine Person auf meiner Tour treffen.

Der Abstieg über die Eisglasur ist ein bisserl zäh, aber machbar. Mit Geduld geht alles. Nach der Dürrenfeldscharte geht es Richtung Sudetendeutsche Hütte, die ich allerdings links liegen lasse. Stattdessen steige ich zur Gradötzscharte auf. Der Schnee wird weich, die Julisonne brennt mir in den Rücken. Ich befreie mich vom Goretex-Layer. Die Steigeisen lasse ich an. Ich fühle mich sicherer, auch wenn es vielleicht ohne ging. Beim Aufstieg zum Gradötzsattel spüre ich allmählich, dass ich schon etwas getan habe. Es geht steil hinauf. Meiner Uhr geht der Saft aus. Deswegen endet der GPS-Track auch hier irgendwo.

Am Gradötzsattel angekommen fehlt mir nur noch der Abstieg zum Kalser Tauernhaus, wo ich Sabine treffen will. Sie will die acht Kilometer vom Gradonna laufen – auch nicht schlecht!

Der Plan ist, die paar Schneefelder noch mit Steigeisen abzusteigen und den Rest zu laufen. Ui, da werde ich die Tour früh beenden. Nun ja, die Schneefelder sind Richtung Osten ausgerichtet und entsprechend von der Sonne bereits einige Zeit beschienen. Trotzdem fühle ich mich in den Steigeisen wohler. Wahrscheinlich ist das ein Fehler! Ich weiß, dass man breitbeinig gehen muss, weil man leicht hängenbleiben kann, stolpert und dann abfährt. Speziell ohne Pickel ist dann wenig zu bremsen.

Auch weiß ich, dass Schnee-Fels-Übergänge immer kritisch sind. Hier erwärmt die Sonne den Stein stark und der Schnee schmilzt darunter ab. Das abfließende Schmelzwasser tut sein Übriges. An so einer Stelle breche ich mit einem Bein ein. Es geht steil bergab und so muss ich das Bein mit Schwung herausziehen. Dabei verpasse ich mir mit der Frontzacke eine tiefe Fleischwunde an der rechten Wade.

Na zack, da rinnt das Blut raus. Dunkel und in einem scheinbar unaufhaltbaren Schwall. Ich drücke Schnee drauf. Sobald der tiefrot ist, werfe ich ihn weg und drücke mit neuem Schnee weiter. Soll ich den Notruf aktivieren? Wie lange dauert es, bis ich umkippe? Mittlerweile weiß ich, dass ich auch bei abgetrenntem Bein noch Zeit hätte, den Notruf zu tätigen. Und dann lässt die Blutung überraschend schnell nach! Oh, da staune ich. Das Schneefeld gleicht mittlerweile einem Schlachtfeld.

Ich schaue, dass ich zu den Felsen komme. Da ist es wärmer und einigermaßen trocken. In der Schräge verliert man leicht sein Sachen. Das weiß ich – auch im Stress. Trotzdem ist mir der Biwagsack abgerauscht. Den muss ich noch holen. Aber viel wichtiger ist es, einen Verband anzulegen. Wie wichtig es ist, brauchbares Erste-Hilfe-Material dabei zu haben! Wirklich, dringende Empfehlung! Mir gelingt ein brauchbarer Verband erstaunlich gut. Ich sammle mich und probiere den Abstieg. Auch der geht überraschend gut. Kein Hubschrauber vonnöten.

So schicke ich eine Nachricht an Sabine, dass ich zwar verletzt bin, aber absteigen kann. Die Arme! Zwei Stunden muss sie warten, bis ich beim Kalser Tauernhaus bin. InReach liefert gute Dienste. So kann sie zumindest sehen, dass ich vorankomme. Um das zu sehen, braucht sie Empfang. Der ist allerdings nur ein bisserl gegeben am Tauernhaus.

Beim Abstieg erkenne ich, dass die Brücken schon „liegen“. Allerdings im Schnee und nicht über den Bächen. Teils sind die vom Schmelzwasser gut gefüllten Bäche noch mit Schnee bedeckt. Mit einem verletzten Bein und einer gesunden Skepsis in die Tragfähigkeit ist das Begehen solcher Schneebrücken ein durchaus zweifelhaftes Vergnügen!

Weiter unten treffe ich den Wegebauer. Er hat die Wege mit Drainagen, einfachen Ableitungen, versehen und will nun noch die Brücken legen. Da bin ich wohl einen Tag zu früh dran. Aber auch er ist zu früh dran! Was macht er denn an den Stellen, wo noch Schnee liegt? Nicht mein Problem ich muss eh weiter. Mann, das zieht sich! Aber das Bein macht wenig Probleme, solange es nicht wieder bergauf geht.

Beim Wasserfall treffe ich dann erstmals Touristen. Bislang war die Tour mit Ausnahme des Wegebauers ja menschenleer. Am Tauernhaus empfängt mich Sabine. Ohne inReach-Erfahrung und ohne Kontaktmöglichkeit musste sie warten! Der Hüttenwirt bestellt die Rettung. Eine Stunde braucht sie von Lienz hier herauf. Ich bin in gutem Zustand. Essen soll ich nichts – na fein!

Ich werde am Hoverboard gebettet. Sabine nimmt neben mir Platz. Macht sie da Selfies? Kann ja nicht sein! 😉 Sie begleitet mich bis zum Gradonna, wo sie mir mit dem Auto nach einiger Zeit folgen wird.

In Lienz werde ich verarztet und bekomme einen schicken Strumpf. Ich hatte ziemliches Glück. Die Faszie und selbst ein Teil des Muskels sind durchtrennt. Nerven zur Muskelkoordination und Arterien wurden vom Steigeisen verschont. Da hat wieder jemand auf mich geschaut. Die Schmerzen sind auch absolut auszuhalten. So kann ich in allen Farben von meinem dramatischen Unfall und dem heldenhaften, zweistündigen Abstieg erzählen.

Alles in allem eine herausragende Tour mit einem Hoppala, das zum Glück recht glimpflich ausgegangen ist!

Die Tour auf garmin.com (bis zum Ende des Akkus)