Hochfeiler (3.510m) von Südtirol


Fotos gibt es diesmal hier!


Die Ziele für die Tour sind klar definiert. Wie geht es steirischen Mitochondrien in der Höhe und passen die neuen und fast revolutionären Schuhe zu den Füßen? Wir haben uns den Hochfeiler ausgesucht. Schon lange habe ich Zweifel, dass ich da je oben war. Ich erinnere mich, dass wir als Familie vor 45 Jahren oder mehr dort waren. Nun nach der Besteigung weiß ich, dass der Vater nur Karin, meine Schwester, mit auf den Gipfel genommen hat. So habe ich also Gelegenheit, spät aber doch den höchsten Berg der Zillertaler Alpen zu „erledigen“.

Wir könnten vom Schlegeisspeicher im Zillertal aufsteigen. Nur von Südtirol, vom Pfitschtal aus, ist es viel kürzer für uns. Für die Q ist es eine Stunde und viele Kilometer weiter. Mit ein bisserl einem schlechten Gewissen machen wir uns auf den Weg.

Die Anfahrt ist kurzweilig. Das liegt sicherlich auch daran, dass wir bei unserem Stopp in Salzburg Autostopper mit einem Schild „Innsbruck“ sehen. Für mich ist es sonnenklar, dass wir die beiden mitnehmen. Bei Renate ist das auch klar, aber halt mit anderem Vorzeichen. Mein zugegebenermaßen schwachsinniges Argument, dass uns der Blitz am Hochfeiler treffen wird, wenn wir sie nicht mitnehmen, überzeugt. Dass die beiden wahrscheinlich kein Paar sind, sehe ich dank meiner Rotsehschwäche nicht. So sind mir die rosafarbenen Socken und Fingernägel an ihm nicht aufgefallen. Eine leichte Behinderung fördert also meine Toleranz. Das gefällt mir. Renate gefällt hingegen die Begeisterung unserer Gäste, dass wir nach Italien fahren, nicht so ganz. In viel zu hoher Stimmlage quietscht unser Fahrgast vor Begeisterung, dass sie eine Mitfahrgelegenheit bis Italy haben. In Renates Blick lese ich ein: „Das war so nie ausgemacht! Und wenn du weiter so kreischt, dann hast du dein Little Italy am nächsten Parkplatz.“. Seine Begleiterin zieht sich den Hoody ein bisserl weiter ins Gesicht.

So sitzen auf der Rückbank ein schwuler Pole mit deutlichem Sprachfehler – der liebe Herrgott prüft ihn mit einem ordentlichen Lispeln – und rosa Socken und eine Begleitung, bei der ich nicht weiß, wie sie zu ihm steht. Die junge Dame schaut am Handy Videos, aber ohne Kopfhörer. Das gestaltet die Stimmung im Auto anfangs doch explosiv. Ein strafender Blick von der Beifahrerseite und das Handy verstummt, die Lage entspannt sich. Ich verzichte auf eine sonst übliche und doch ausführliche Einvernahme zum bisherigen Lebensweg. Ich will es ja nicht übertreiben.

Die Entspanntheit wehrt eine Weile. Doch dann spielt über Spotify Renates Playlist. Die Filmmusik von Fifty Shades of Grey passt ja irgendwie zu unserer illustren Besetzung. Aber was höre ich da erst ganz leise, aber dann immer lauter im Duett von der Rückbank? In gutem, polnisch angehauchtem Englisch singen die Fahrgäste mit, als hätten sie gemeinsame Erinnerungen an die Geschichte oder sonst was. Ich kenne mich nicht aus, was habe ich jetzt wieder angerichtet? Ich treibe meine Fingernägel ins Lenkrad. Ein weiterer strenger Blick von der Beifahrerseite, als wäre Christian Grey himself anwesend, und Schweigen kehrt auf der Rückbank ein. Wer will schon mit Rucksäcken auf der Europabrücke in der sengenden Mittagssonne stehen?

Eine gewisse Erleichterung in Sterzing, wo wir abfahren und nichts, aber auch gar nichts, ist, kann ich nicht leugnen. Wir lassen die beiden aussteigen und kommen noch auf ein Selfie. Besser ich weiß nicht, auf welchen Websites ich nun geführt werde. Die Bildererkennung wird es mich in den nächsten Jahren jedenfalls wissen lassen. Soll sein!

Aber nun zum Tourenbericht! Unser Ziel ist der Parkplatz „unbewirtschaftet“ in der dritten Kehre der Straße aufs Pfitscher Joch. Die Straße ist ebenso unbefestigt, wie unser Vertrauen in Google Maps groß ist. Google enttäuscht nicht. Die Parkplätze sind gut gefüllt. Hier endet auch die Fahrerlaubnis. Ins Pfitschertal geht es nur noch zu Fuß weiter. Es ist kurz vor drei am Nachmittag. Die Sonne hat schon viel Feuchtigkeit verdunsten lassen. Erste Gewitterwolken türmen sich auf. Hoffentlich hält das die nächsten drei Stunden.

Renates Rucksack ist ähnlich schwer wie meiner. Wow, Respekt! Wir starten auf über 1.700m in eine Hitzeschlacht. Die stechende Sonne, einiges an Wasser rings um uns, hohe Luftfeuchtigkeit,.. alles schön und gut für die Vegetation, aber mir treibt es alles aus. Renate rennt. Ich stapfe hinten nach, schwitze und denke mir, dass wir wahrscheinlich die letzten paar hundert Höhenmeter auf allen vieren zurücklegen werden müssen, wenn wir den Speed nicht bald rausnehmen. Anderseits, viel haben wir ja an diesem Tag nicht mehr zu tun.

So steigen wir also erst durch den Dschungel zu einem Ausblick aufs Tal und die schönen Berge. Keine Forststraße, keine Transportseilbahn zerschneiden das idyllische Bild. Oberhalb der Baumgrenze, hier bei um die 2.000m, geht es dann lange, nur leicht ansteigend Richtung Ostnordost. Die ersten Regentropfen melden sich. Ein Blick zurück zeigt, im Westen regnet es schon heftiger. Letztlich bleiben wir jedoch verschont. Wahrscheinlich, weil wir die Autostopper mitgenommen haben. Man weiß es nicht!

Nach einem erneuten Anstieg führt der Weg unterhalb von Gletschern vorbei. Nur diese haben sich in den letzten Jahren wohl weit in höhere, kühlere Regionen zurückgezogen. Einmal noch Serpentinen und einmal noch ein Anstieg und wird sind nach zweieinhalb Stunden bei der Hütte.

Zimmer 1 wird uns zugeteilt. 12 Quadratmeter sind mit zwei Dreifachstockbetten und einem normalen Stockbett bestückt. Sechs Betten sind schon belegt. Ein bisserl komme ich mir vor wie in einer Doku auf RTL II und frage mich, was ich angestellt habe. Wie muss sich da erst Renate fühlen, die es am liebsten stockfinster und absolut ruhig im Schlafraum hat? Die Vorfreude auf Essen in italienischer Qualität erfüllt sich leider in der Halbpension auch nicht ganz. Lediglich die Buchweizentorte ist eine Freude und lässt vermuten, wo wir da gelandet sind und was man auf der Speisekarte finden könnte.

Die Nacht ist übel, aber doch auch besser als gedacht. Sechs Männer, ein Bub und Renate. Da wird geschnarcht, gefurzt und ab vier rumgekramt. Die frühesten Vögel stellen sich den Wecker für 03:30. Zum Gipfel sind es 800 Höhenmeter – bei Absenz jeder technischen Schwierigkeit. Kein Gletscherkontakt, kein Firngrat und der frisch gefallene Schnee von vor über einer Woche ist wahrscheinlich wieder weg. Was macht man da also um diese Uhrzeit am Anstieg und Gipfel? Da muss man mit Stirnlampe los. Okay, man ist dann bei Sonnenaufgang oben. Klingt cool, wäre da nur nicht der Nebel. In der Nacht hat es ordentlich geregnet. Die Sonne wird kämpfen, um den Nebel aus der Luft zu nehmen.

Wir starten nach unserem Frühstück kurz nach sieben. Das reicht auf alle Fälle. Der Aufstieg sieht mächtig aus, ist aber letztlich eine Strecke zum Austesten der eigenen Ausdauer oder gar Leidensfähigkeit. Ab 3.000 Meter wird es kalt. Die Sonne hat sich, wie erwartet, noch nicht durchgesetzt. Etwas Wind pfeift. Da hat Renate bald alles an, was sie mithat. Gelegentlich erfrischt ein Trailrunner in kurzen Hosen und Halbschuhen. Das Klima und die Zeiten haben sich geändert – wow!

Vor zehn sind wir am Gipfel! Geschafft – jippieh! Renate überrascht mich total, zumal ihr Bergerfahrung nicht ganz, aber doch fehlt. So stehen wir da, freuen uns, ich bin stolz und Renate friert ein wenig sehr. Erste Löcher zeigen sich in den Wolken. Nein, lange wollen wir nicht hier bleiben. Wir steigen ab.

Bei der Hütte gibt es dann nochmals reichlich Mittagessen. Wir füllen die Rucksäcke mit den Sachen, die wir in der Früh hier zurückgelassen haben und steigen die 1.000 Höhenmeter zum Auto bei der dritten Kehre wieder ab. Die letzten Höhenmeter haben es in sich. Vom Gipfel bis zum Auto sind es inklusive der Gegenanstiege fast 2.000 Höhenmeter. Das ist einiges. Renate meckert nicht, obwohl offenkundig ist, dass sie an der letzten Stunde keine Freude mehr empfinden kann. Was für eine tapfere und angenehme Begleitung!

Der erste Dreitausender mit immerhin 3.510 Metern ist geschafft. Wir haben gut als Team funktioniert und die Schuhe haben gepasst. Ich habe damit die Liste der höchsten Gipfel der zehn höchsten Gebirgsgruppen in Österreich abgeschlossen. Noch ein Triumpf – was will man mehr.

Etwas mehr als vier Stunden fahren wir ins Hotel Post am See in Traunkirchen. Wir haben die Erholung notwendig. Autostopper zeigen sich (zum Glück) keine.


Garmin
Anstieg zur Hochfeilerhütte
Hochfeilerhütte – Hochfeiler und Abstieg


Fotos gibt es diesmal hier!