Bergsteigen: Stadelwandgraben – Klosterwappen – Weichtalklamm

Die Quarantäne hat uns im Griff. Ein 33-jähriger Studienabbrecher, der es mit der Gesetzgebung nicht so genau nimmt, hat Hausarrest verordnet. Na ja, wenn er es mit den Gesetzen nicht so genau nimmt, werde ich es ja mit dem an die Gesetze halten nicht so genau nehmen müssen. Aber nix Riskantes. Darum hat der Alpenverein mit wesentlich mehr Feingefühl gebeten. Der AV meint, dass Bergsteigen nicht verboten ist, dass der AV niemanden verurteilt, der in die Berge geht und dass selbstverständlich jeder gerettet wird, der Hilfe braucht. Also, Kardio ist angesagt.

Kurz nach acht parke ich mich am Eingang des Stadelwandgrabens ein. Es ist kalt, für Mitte April wirklich kalt. Die Wetter-App sagt -10° Celsius beim Klosterwappen, aber bis ich dort bin, wird die Aprilsonne schon brav aufwärmen.

Auf 840 Metern Seehöhe liegt der erste Schnee – oha! Ich bin fit und recht schnell unterwegs, aber oben wird es zäh. Der Wind hat ordentlich Holz gebrochen, der Schnee den Weg versteckt und von einer Spur ist in Corona-Zeiten weit und breit nichts zu sehen. Aber das Wetter ist traumhaft und die Strecke kenne ich. Die Latschen streifen ihren Schnee an mir ab. Sobald ich die Latschen hinter mir habe, geht es ohne Jacke nicht mehr. Der Wind pfeift, es hat unter Null, was den Schnee teils pulvrig macht. Weiter oben ist der Triebschnee wirklich ganz trocken. Ein schnelles Weiterkommen ist nicht mehr möglich.

Nach zweieinviertel Stunden bin ich beim Klosterwappen. Kein Mensch weit und breit. Ich schieße ein paar Fotos und mache mich an den Abstieg. Ein Abstecher zur Fischerhütte ist zwecklos – shut down. Selbst der Winterraum ist locked down. So ein Blödsinn, denn der Raum könnte Menschenleben retten. Dass er welche gefährdet, schließe ich aus. Aber der Hüttenwirt schließt sich der „Bleibt’s dahoam“-Hysterie an. Na ja, die Rechnung wird kommen. Mir egal, ich steige ab.

Schon aus der Ferne sehe ich eine Gestalt den Steig raufkommen. Ich vermute einen betagten Bergsteiger, aber die Cordhosen und der Buchenstock täuschen. Ein junger Wiener mit tadellosem Hietzinger Akzent zeigt sich verwundert, wo ich denn herkomme. Auch wenn ich von oben komme, so fühlt doch er sich als Pionier, weil er einen unverspurten Steig gefunden hat. Seine Silikondinger mit Eisennoppen hat er vergessen, was den Aufstieg schwieriger macht. Und dann erklärt mir noch der Mann, der nicht weiß, dass die vergessenen Dinger Grödel heißen, wo ich beim Abstieg hinsteigen soll. Ah eh! Na, danke und schönen Tag noch!

Bei der Kienthalerhütte ist der kurze Klettersteig auf den Turmstein Pflicht. Hier oben, wo ich mich zu allem hinreißen hätte lassen, weil ich mich der totalen Einsamkeit sicher bin, ist heute nur Stille zu hören. Kein Motorrad, das mit seinem Gebrüll die Stille des Höllentals zerreißt. Keine Kettensäge, die sich an Fichten oder Ähnlichem verbeißt. Lediglich die Sonne löst Steine an der gegenüberliegenden Wand und lässt sie krachend zu Tal. Und dann plötzlich höre ich hinter mir ein näherkommendes Getöse. Was soll das? Das wären die ersten Steine, die den Steig raufkommen. Und siehe da, es steht ein weiterer Bergfreund hinter mir, wie aus dem Nichts aufgetaucht. Zum Glück habe ich mich nur zum Handy-Check hinreißen lassen.

Im Abstieg wähle ich die Weichtalklamm. Der Winter war schneearm und das Frühjahr extrem trocken. So liegt staubtrockenes Laub schön fluffig teils knietief, und der Abstieg wird zum Eiertanz. Corona hat mich auch entwöhnt und so bin ich nichts mehr gewöhnt. Die Fußgelenke, die Wadeln, die Knie und die Oberschenkel,.. Kurz, der Bewegungsapparat hat genug. Wie geht es da erst den Alten, die seit ein paar Wochen nicht aus ihren Wohnungen dürfen? Wer wird die wieder auftrainieren oder eher wieder mobilisieren? Okay, hat sich keiner überlegt. Ist mir im Moment auch wurscht, ich steige halt langsam ab.

Plötzlich steht da ein Stiefel mit drei paar Socken daneben. So eine Begegnung ist gruselig, weil ich immer Sorge habe, dass ich gleich auch den Besitzer dazu finde. Aber weder der zweite Schuh noch der Besitzer sind zu finden. Müll sollte man nicht liegen lassen und so nehme ich Stiefel und Socken mit. Komisch, wie kann man eine knappe Stunde von der Straße aus entfernt einen Schuh und drei paar Socken verlieren?

Der Parkplatz vorm Weichtalhaus ist verwaist. Ich wandere das Stück zur Q, die sich auch schon ganz alleine ein bisserl langweilt. Das Bad in der Schwarza lasse ich heute aus und tuckere doch recht müde von der Tour Richtung Wien. Leider gibt es keine Chance auf ein Essen oder einen Kaffee. Das untersagt der Studienabbrecher. Ob das schlau ist? Ich weiß nicht, ich glaube aber nicht!

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