Klettern: Akademikersteig

Mitte November, kein Schnee weit und breit und auch der Nebel hat sich verzogen. Trockene Luft hat den Fels abgetrocknet und der Wetterbericht verspricht den ganzen Tag Sonnenschein. Gernot und ich gehen noch einmal den Akademikersteig.

Zu dieser Jahreszeit darf man ruhig ein bisserl später losfahren. Wir starten kurz nach 10 Uhr und erwischen das Sonnenfenster im Großen Höllental optimal. So haben wir vom Einstieg bis zum Ausstieg Sonne. Ja ja, wir sind keine Speed-Kletterer 😉

160 Stufen hat die Schönbrunnerstiege, aber übrig sind nur noch 159. Die Bedingungen haben wohl eine Stufe eingefordert. Ich bezweifle mal, dass es ein Besucher war. So, wo dieses wichtige Faktum niedergeschrieben ist, kann es losgehen.

Es ist doch eher kalt. Die einzig Menschensichtung spielt sich schon beim Zustieg aus der Ferne ab. Das war’s dann auch. Diesmal zweigen wir nicht zu früh ab. Auch beim korrekten Steiglein will Gernot noch weiter und so kommt es, dass wir diesmal zu spät den Wanderweg verlassen. Das bringt uns ein Schotterfeld in der Direttissima. Zu unserem Erstaunen ist es gerade mal 36° steil. Das sagen unsere Handytools. Uns kommt es viel steiler vor, zumindest schnaufen wir ordentlich und das Kältegefühl ist schlagartig weg.

Die Anseilknoten werden immer schöner und die Kletterausrüstung sieht richtig professionell aus. Schade, dass niemand da ist, den wir beeindrucken könnten. Aber wir machen es ja für uns selbst und das passt so.

In der zweiten oder dritten Seillänge übernimmt Gernot mal den Vorstieg, er soll sich ja nicht allzu sehr daran gewöhnen, dass in den Bergen stets ein Seil vorgespannt ist. Das klappt gut. So gut, dass er eine weitere Seillänge vorsteigen will. Mir soll es recht sein. Nun ja, Wagemut war jedenfalls genug da, aber dann erkenne ich gut zehn Meter ober mir eine langsam anlaufende Nähmaschine in Gernots Waden. Uje, das Reinfummeln einer mobilen Sicherung in diesem Zustand ist für niemanden lustig. Gernot will wieder runter. Ich empfehle das Anbringen einer mobilen Sicherung, was auch irgendwie klappt. Gernot ist für den Vorschlag offenkundig dankbar und klettert ab, blickt nach oben und versteht nicht, woran man da scheitern kann. Bei seiner vierten Klettertour darf man an so einer Stelle scheitern. Meine Bewunderung hat er jedenfalls. Ich denke immer ans Motorrad, wo ich mich nicht traue, mich richtig in die Kurven zu legen. Da kann die ganze Welt sagen, dass der Reifen nicht wegrutschen kann. Genauso wenig hilft es Gernot, wenn er sich oder man ihm sagt, dass da eh nichts passieren kann. Gernot ist also abgestiegen und ich fahre keine schrägen Kurven. Der erstaunliche Unterschied ist, Gernot verschiebt seine Grenzen immer wieder, während ich dazu, zumindest momentan, keinerlei Lust verspüre. Für mich, der sich den Bergen wesentlich näher fühlt als schnellen Kurven, ist auch klar, dass hier im Fels viel weniger passieren kann. Alles Kopfsache!

Die Kletterei ist heute traumhaft schön. Am Vorabend habe ich noch Fotos von Ullis und meiner Besteigung vor 14 Jahren rausgesucht. Sie war damals in Laufbekleidung unterwegs, und hatte, um dem Ernst der Tour Rechnung zu tragen, einen Helm aufgesetzt. Das war auch schon der volle Umfang ihrer Sicherungsmaßnahmen. Schade, dass sie heute nicht dabei sein kann. Ich glaube, sie würde mittlerweile auch das Seil verwenden.

Beim nächsten Stand nach dem Fenster, das wir diesmal ausreichend fotografisch dokumentieren, fällt mir ein Karabiner aus der Hand und springt mit einem irren Speed Richtung Höllental. Gernot ruft von unten, dass er ihn bergen will. Der Karabiner ist mindestens 15 Jahre alt und darf nach so einem Sturz eh nicht mehr verwendet werden, aber über die weite Distanz lässt sich nicht kommunizieren. Gernot steigt ab, findet dann doch nichts und ruft: „Ich komme.“. „Okay!“ hallt es durchs menschenleere Höllental. Ich ziehe, nichts tut sich am gespannten und voll ausgegebenen 60m-Seil. „Ich komme jetzt!“. „Okay, komm‘ nach!“. Wieder nichts. Minuten verstreichen. Ich hab‘ schon Sorge, dass ich die eine Zwischensicherung ausreiße, das Seil ein paar Meter nachgibt und Gernot unten einen Herzkasperl kriegt. „Komme!“ oder war es: „Kommen!“. Also, was jetzt? Will er, dass ich abklettere? Nichts tut sich, die Zeit vergeht. Irgendwann höre ich abgehendes Geröll. Kurz überlege ich, ob nur noch Gernots Sitzgurt an irgendeinem Felsköpfel festgemacht ist und Gernot aufgrund des ausgegangenen Seils alleine ganz schnell zum Karabiner abgestiegen ist. Zumindest geschrien hat er dabei nicht. Also, ich ziehe nochmal beherzt und siehe da ein halber Meter geht. Das kann die Seildehnung sein, aber es geht noch ein halber Meter und noch einer. Als Gernot dann bei mir ist, erklärt er mir, dass er vor sich eine Seilschlinge hatte, die sich einfach nicht spannen wollte. Er habe eh immer wieder gerufen und sich schon gewundert, was ich denn da oben tue.

Das ist einer der Nachteile bei unseren leichten Touren. Da wir ja weit von einer Senkrechten entfernt sind, ist nach wenigen Metern meist der Sichtkontakt weg und auch der Schall wird von den leicht zu kletternden Felsen geschluckt. Ist halt so. Geduld muss am haben.

Mit den letzten Sonnenstrahlen erreichen wir den Grat und sind stolz wie die Schneekönige, dass wir es wieder geschafft haben. Klettern macht uns Spaß. Gernot hat noch einen Moment der Ernüchterung. Er fragt, warum seine Schuhe eigentlich als Zustiegsschuhe bezeichnet werden. Na ja, weil ernsthafte Kletterer so einen Steig wie den Akademikersteig bestenfalls als Zustieg oder Abstieg verwenden. Ah ja! Zum Glück hier ober dem Höllental gefragt, wo weit und breit kein Zeuge ist!

Details via Garmin