Der Tassilo-Klettersteig im Toten Gebirge steht auf der Liste. Und weil wir es gemütlicher angehen wollen, reservieren wir uns zwei Plätze auf der Welser Hütte.
Jede Tour beginnt mit einer sorgfältigen Vorbereitung. Diese sieht bei uns so aus, dass eine von uns beiden extrem großes Interesse zeigt, was der andere so einpackt. Also, ob ich eh weiß, dass es am Donnerstag in der Nacht nur 3° am Gipfel haben wird. Mag sein, aber um vier in der Früh werde ich da eh nicht oben sein. Sollen wir nicht doch auch die warmen Jacken mitnehmen? Zusätzlich zu den drei anderen? Mann oh! Während ich also packen will, bekomme ich das Handy vor die Nase gehalten, ob denn diese Kletterstelle mit jener vergleichbar ist, die sie am Hilde-Klettersteig bewältigt hat. Es reicht! Da bietet sich an, dass DPD heute eine neue Kaffeemaschine liefern will. Warum die alte Maschine bei der Reparatur ist? Na, da hat eine von uns beiden solange die Knöpfe gedrückt, bis eine Luftblase im Boiler hängen geblieben ist. Aber das ist eine andere Geschichte. Den Lieferwagen von DPD kann man am Internet verfolgen, und so kommt mir die Idee, ob Renate nicht dem Lieferwagen entgegenfahren will, um unsere neue Maschine zu holen. Das sollte mir Ruhe zum Packen verschaffen. Claro! Weg ist sie! Den findet sie nie.
Und schon läutet das Handy:
„Ich glaub‘, ich bin gerade am DPD-Auto vorbeigefahren?
Kannst du schauen, wo es ist?“
„Wo bist du denn?“
„Da bei der Kreuzung, wo wir eh auch vorgestern waren.“
„Ah, dann kenn‘ ich mich aus!“
Das wiederholt sich so ein paar Mal. Mein Plan war also für die Fische. Tja, dann läutet es erneut: „Ich hab‘ den Fahrer! Er sitzt vorm Billa und macht seine Mittagspause.“. So erjagt Massima die Kaffeemaschine – Respekt! Mein Respekt gilt auch dem Fahrer, denn der hat es mit Humor genommen. Immerhin erspart er sich so eine Fahrt. Sagt er, was er denkt, wissen wir nicht.
Renate hat bei der Anfahrt schon jede Menge Fragen an den Wirt, unter anderem, ob er einen Rucksack-Service anbietet. Der arme Wirt wirkt entnervt. Okay, dann müssen wir schleppen. Ich überlege, Renate das Handy abzunehmen.
Wir starten vom Parkplatz des Almtalerhauses. Zuerst geht es über einige Kilometer eine Schotterstraße bis zur Talstation der Materialseilbahn, nun noch ein bisserl Schonfrist im mäßig steilen Wald, ehe die Route ordentlich bergauf zur bereits früh sichtbaren Welser Hütte ansteigt. Zwei, drei Leitern warten auf dem von der Nachmittagssonne gut ausgeleuchteten Anstieg. Zum Glück ist es heute nicht so heiß.
Es geht erstaunlich gut und wir schaffen es mit Leichtigkeit pünktlich zum Abendessen auf die Hütte. Den Tisch teilen wir mit zwei Oberösterreichern. Es sind zwei Strukturbiologen, der eine unterrichtet an der Uni, der andere erfindet mRNA-Impfstoffe. Na, damit hätte ich nicht gerechnet. Wir diskutieren Renates Lieblingsthema, nämlich die kabellose Stromübertragung mit Tesla-Spulen. Weiter geht es mit Fragen wie, welche Strahlen auf welche Art Körperzellen erwärmen und warum KI auch nur die konsequente und rechenintensive Umsetzung der alten Ideen aus dem vorigen Jahrtausend ist. Yeah, ich war der erste Jahrgang an der TU, bei dem schon einige Übungen auf einem PC gemacht wurden und habe meinen Abschluss am Institut für Datenbanksysteme und Künstliche Intelligenz gemacht. Ja, da schaut ihr alle!
Wir haben ein Achterzimmer zu zweit. Das klingt widersprüchlich, zumal die Hütte keine freien Betten hat. Aber der Wirt und die Infrastruktur sind am Limit und so haben wir zu zweit die geräumige Juniorsuite. Ober uns quietscht der Holzboden, wenn jemand herumgeht, wir hören die abschließende Worte anderer BergsteigerInnen aus anderen Etagen vor dem Einschlafen und sind fast live dabei, wenn jemand noch aufs WC geht. Hüttenleben vom Feinsten, und trotzdem finden wir unseren Schlaf.
Der Morgen erwartet uns mit traumhaften Bedingungen. Renate fühlt sich fit und so geht es nach dem Frühstück los. Die meisten besteigen den Großen Priel, aber wir biegen nach 20 Minuten gemeinsamen Wegs rechts in die Einsamkeit ab und erreichen nach weiteren zehn Minuten den Einstieg des Tassilo-Klettersteigs.
Die Bedingungen sind wirklich einmalig. Der Steig ist wohl selten begangen, denn der Fels zeigt keinerlei oder kaum Abriebspuren. Die technischen Schwierigkeiten sind mit C/D fair beurteilt. D erscheint mir dann doch zu hoch. Ein paar Mal hat man kurz Zug auf den Armen. Nach so einer Stelle lässt der Steig aber sofort wieder locker. So erreichen wir das Almtaler Köpfl, womit wir laut Topo die Schwierigkeiten hinter uns haben sollten.
Ein Hubschrauber schwirrt am Plateau herum. Er setzt Leute am Seil ab und nimmt wieder welche auf. Übt man hier? Jedenfalls stört das Gerattere die Ruhe da heroben. Erst wieder daheim werden wir lesen, dass einer der beiden Wissenschaftler gestürzt ist und aufgrund seiner Verletzung am Unterschenkel vom Hubschrauber geholt werden musste. Uje, ihm alles Gute!
Der restliche Anstieg auf den Schermberg ist dann länger als erwartet und auch noch ein paar Mal zum Anhalten. Renate schnauft. Am Gipfel erwartet uns ein eher bescheidenes „Gipfelkreuz“ und vier andere BergsteigerInnen, die von der anderen Seite heraufgekommen sind. Das Wetter lädt zu einer Pause ein. Tadellos!
Der Abstieg erfolgt über den Hermann-Wöhs-Steig. Der ist technisch nicht schwierig, aber eben der Abstieg. Es geht über Gletscherabschliff an teils ordentlichen Felsspalten und Dolinen vorbei. Die Sohlen halten auf dem steilen Fels recht gut. Aber dann passiert es. Renate hält sich an einem größeren Felsbrocken, und der bricht aus. Die Folge sind ein schmerzverzerrtes Gesicht und ein offenkundig bald blutendes Schienbein. Ich überlege. Blöd, dass der Hubschrauber schon weg ist, sonst hätten die zwei Sturzpiloten in Gegenwart des Hubschrauberpiloten ein bisserl über Renates zweites Lieblingsthema „Herausforderungen des Beamens und Klärung der Frage, ob Renate das noch erleben wird“ fachsimpeln können.
Aber so muss Renate tapfer alleine absteigen. Heute wird nicht gebeamt. Eher mühsam vernichten wir Höhenmeter, bis wir endlich die Welser Hütte wieder erreichen. Es gibt ein ausreichendes Mittagessen und ein bisserl Erholung.
Jetzt fehlen nur 1.012 Höhenmeter im Abstieg. Das klingt nicht übertrieben viel, ist aber so mühsam, dass Renate ab der Talstation der Materialseilbahn nicht mehr so recht weiß, wie sie ihre Füße aufsetzen soll. Die Ballen streiken. Den letzten Kilometer stakst sie mehr als sie geht. Schaue ich sie an, höre ich ein: „Der Klettersteig war es aber wert!“. Na, dann! Und wie so oft erreichen wir dann doch noch den Parkplatz, von wo wir nach einer gelungenen Tour Richtung Heimat gleiten.
Die Details auf Garmin























